HINTERGRUND
Im Rahmen meines Studiums am Tanzwissenschaftsinstitut der Universität (MAS dance/performing arts), habe ich eine theoretische und praktische Untersuchung zu Yoko Ono’s Cut Piece vorgenommen und im Frühling 2018 im Tojo Theater Bern uraufgeführt. Ziel dieses Reenactments war es, die Methode des Reenactment auf die Performance Arts anzuwenden und als Referenz nicht die Performance selber, sondern rein deren Score zu nehmen und diesen zu reenacten. Ziel war es aber auch, mich mit der Rolle der Frau in den Performance Arts auseinander zu setzten. Plastischer und direkter als in Cut Piece lässt sich der Blick auf das ‚Objekt Frau’ fast nicht darstellen.
Yoko Ono war eine Pionierin in der Performance Art und „Cut Piece“ war ein Vorgriff auf das Entstehen einer starken feministischen Bewegung am Ende der 1970er Jahre. Wie einst der Ausdruckstanz der 1920er Jahre, eröffnete auch die Performance Art den Frauen die Möglichkeit der Selbstthematisierung und Selbstreflexion.
Als Fortsetzung meiner Untersuchung von Cut Piece will ich mit eben dieser Selbstreflexion der Frauen, welche schon dem Ausdruckstanz der 1920er Jahre zugeschrieben wird, auseinandersetzen. Der Ausdruckstanz ist dabei ein neues Feld für mich, mit welchem ich mich bis jetzt weder als Künstlerin, noch als Tänzerin oder Performerin identifizieren konnte. Genau darin liegt jedoch mein Interesse. Durch viele Berührungspunkte jüngst in meiner künstlerischen Auseinandersetzung (unter anderem mit dem Monte Verità oder eben mit Cut Piece) zeigte sich immer wieder, wie stark sich die Vergangenheit in der Gegenwart spiegelt. Neben meiner persönlichen Dringlichkeit (siehe unten), möchte ich diese tanzhistorische Auseinandersetzung auch mit dem Publikum teilen. Ich glaube, dass auch für dieses ein Mehrwert entsteht. Tanzvermittlung kann und soll sehr vielseitig sein, die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Tanzes ist dabei ein möglicher und spannender Ansatz und so möchte ich unter anderem ein (non-verbaler) Dialog mit einem tanzinteressierten und kritischen Publikum über die Essenz und Relevanz eines solches Reenactments anstossen.
Ich setzte mich also in einem weiteren Reenactment einer tanzhistorisch bedeutenden und auf ihre Art feministischen Performance auseinander und zitiere diesmal die Pionierin des Ausdruckstanzes. So dient mir Mary Wigmans Hexentanz aus den 1920er Jahren als Quelle. (siehe Video)
Das Stück ASHES soll für sich stehen, aber auch die Möglichkeit einer kritisch reflektierten Auseinandersetzung mit der Tanzgeschichte und der damaligen Performancepraxis bieten und nach der Auswirkung aufs heutige Tanzschaffen fragen. Es soll sich aber auch bewusst von der Vergangenheit lösen und neue Formen & Identitäten finden.
MYTHOS HEXENTANZ
Mary Wigmans erste Version von Hexentanz (ohne Maske) entstand 1914. 1926 erschuf sie die zweite Version mit Maske und Stoffgewand. Hedwig Müller schreibt in «Mary Wigman. Leben und Werk der grossen Tänzerin» über den Hexentanz: «Es sitzt auf dem Boden und krallt die gespreizten Finger in den Boden, die Arme wie ein Raubvogel in den Raum – nach vorne, nach oben. Dann verschliesst es das Gesicht mit einem Gitter aus Fingern beider Hände, wirft den Kopf in den Nacken, reisst ihn herum und stösst die Arme wieder Besitz ergreifend in den Raum. Langsam schiebt es sich im Sitzen nach vorne – wie ein Tier und genauso bedrohlich in der Heftigkeit, mit der die Fersen auf den Boden schlagen. Dann richtet sich das Wesen zur Hocke auf und fährt wie aus der Erde hervorgeschossen in die Höhe. Es folgen gewaltsame Sprünge zu den Seiten, kreisende Ausbrüche, verzerrte Haltung des Köpers. Ein Körper, der lustvoll durch den Raum jagt und sich im Rausch des Eroberten verliert und dessen Arme wie Schwerter den Raum zerschneiden. Zuletzt ein machtvolles Aufrecken und schließlich der zerschmetternde Sturz zur Erde zurück.
Diese Begegnung mit einem anderen Wesen, Wigmans Kampf mit dem „Dämon“, stellt eine innerpersönliche Auseinandersetzung dar. Der „Dämon“ wird zum Vermittler zwischen Bewusstem und Unbewusstem. Die Konfrontation mit einem verborgenen Selbst enthält für Mary Wigman auch die Auseinandersetzung mit der eigenen künstlerischen Begabung. Das Schaffen eines Kunstwerks und das damit verbundene Suchen nach der dem Werk angemessenen Form kennt keine Rücksicht auf die persönlichen Bedürfnisse.
Sie mystifizierte sich selbst in der Figur der Hexe zum Archetypus des Weiblichen. Ihr Selbstbild war gezeichnet von Demut und Hingabe an der gottlichen Kunst des Tanzes. Das Thema des Opfers und des Beherrscht-Seins charakterisiert nicht nur Wigmans Selbstverständnis, sondern auch ihr gesamtes choreografisches Werk und autobiografischen Texte.»
ANMERKUNG: Mary Wigman gilt als eine sehr schillernde, teils sehr selbstüberzeugte und nicht unbestrittene Persönlichkeit. Ich beziehe in meine Arbeit bewusst keine Überlieferungen über sie oder Intentionen aus ihrer Autobiographie mit ein. Sondern beschränke mich rein auf ihren Hexentanz, der tanzhistorisch von grosser Bedeutung ist und noch heute für die Tanzwissenschaft und das Tanzschaffen unserer Zeit prägend ist.
UMSETZUNG
Der Begriff Reenactment kann sehr unterschiedlich aufgefasst werden. Im Vergleich zu einer Rekonstruktion geht das Reenactment oftmals darüber hinaus. Wie bereits in meiner Solo-Arbeit zum Hexentanz, möchte ich auch mit diesem Versuch schnell von der Kopie oder der reinen Rekonstruktion hin zur die Essenz von Hexentanz gehen. Dabei ist für mich auch hier besonders die Frage nach der Präsenz relevant, die der „übriggebliebene“ Score verlangt, insbesondere wenn die Maske als wichtiges Element des Originals wegfällt.
Der Hexentanz soll insgesamt von allen 7 Tänzer:innen einzel hinterfragt werden. Als Quelle dienen mir die Filmaufnahmen der Original-Performance von Mary Wigmans Hexentanz. Die Performance selber dauert nur knapp 2.20 Minuten.
Was ist der Score von Hexentanz? Was bleibt, wenn nur der Körper und die vorgegebene Bewegung noch vorhanden sind, nicht aber die Maske, das Kostüm? Insbesondere durch Weglassen der Maske ergibt sich eine neue Präsenz. Die Performance soll hier ins Verständnis der Performance Art aus den Sechziger übersetzt werden und sich als offener künstlerischer Prozess in eigener Zeit zu verstehen, welcher als unmittelbare körperliche Handlung und Präsenz abläuft, und dessen Medium der Performancekünstler selbst ist. Es wird keine theatralische Rolle gespielt, sondern der Performer durchlebt das Präsentierte im Augenblick des Entstehens künstlerisch zum ersten Mal.
Wir sind jedoch nicht als Kopie von Mary Wigman auf der Bühne, sondern jeweiliges Individuum in einem Score von Wigman. Basierend auf einer intensiven, künstlerischen Auseinandersetzung im Probeprozess, soll eine persönliche Adaption entstehen. Ziel ist es, die eigene (künstlerische) Identität in diesem kurzen, aber bedeutenden Werk einer Pionierin zu spiegeln.
Die Transformation zwischen den sechs Teilen, der Tänzer:innen soll als dramaturgisches Stilmittel und Vermittlungselement dienen und teilweise überschneidend zusammenspielen. Es entsteht eine subitle Choreographie mit Überlagerungen, Stillstand und ansteckender Ekstase. Die Gesamtinszenierung basiert wie oben beschrieben nur auf Scores und der Auseinandersetzung mit dem ursprünglichen Bewegungs- und Soundmaterial und wird so mit jeder Vorstellung neu gelebt, performt und aus dem Momentum kreiert.
Die verschiedenen Hintergründe der Tänzer:innen fliessen so automatisch in deren Auseinandersetzung mit ein und zeigen subtil die Diversität der jeweiligen Körperarchive von Bewegungsstil und -inpretation, die eigene Unterdrückung der Identität bis hin zur Auseinandersetzung mit der femininen Energie auf.
Durch die score-basierte Konzeption und im Hinblick darauf die Essenz des Momentums für die Vorstellungen nicht zu verlieren, ist die Probezeit auf wenige Tage reduziert.
Die Tänzer:innen sowie die Gesamtinszenierung steht im engen Dialog mit dem Musiker Fabian Hänni, (u.a. biandapid) welcher basierend auf der musikalischen Essenz des Originals ebenfalls score-basiert und live als gleichberechtigtes Element performt. Besonders wichtig für das Gesamtwerk ist das Bühnenbild, welches ein bestechendes visuelles Element im Stück ist und von Ralf Assmann umgesetzt wird. Analog zu den eindrücklichen und beklemmenden Aschenkörper, die in Pompeiii bei Ausgrabungen gefunden wurden, entstehen solche Skulpturen in Form von prägnanten Hexentanz- Bewegungsstills. Die Tänzer:innen befinden sich inmitten der Aschekörper. Sie verschmelzen während dem Stück miteinander sowie dem Raum und bilden (vermeintlich) fast von alleine einen visuellen, bildgewaltigen Dialog. Die Interpretation bleibt dem Publikum überlassen.